Es geht um den Sitz im IIHF-Council. Also in der 14-köpfigen «Eishockey-Weltregierung» (13 plus Präsident). Jahrelang musste sich die Schweiz keine Sorgen um den Einfluss auf höchster hockeypolitischer Ebene machen: René Fasel schaffte 1986 die Wahl ins Council und sass von 1994 bis 2021 auf dem Thron des Präsidenten.
Nachdem er sich 2021 nicht mehr zur Wiederwahl gestellt hatte, ist Raëto Raffainer 2021 ins Council gewählt worden. Viele Kenner prophezeien dem bestens vernetzten ehemaligen HCD-Sportchef, Verbands-Sportdirektor (WM-Silber 2018) und SCB-Manager eine grosse Funktionärskarriere im internationalen Hockey. Sein Vorteil: Er ist für ein solches Amt jung (erst 43), geniesst die Unterstützung der «Hinterbänkler», der nichteuropäischen der insgesamt 84 nationalen Verbände. Beim Herbstkongress 2026 wird das Council neu gewählt.
Ein «Rundtelefon» bei den ausländischen Gewährsleuten zeigt: Raëto Raffainers Chancen auf eine Wiederwahl wären hoch gewesen. Kommt dazu: Es ist selten, dass ein Council-Mitglied nicht wiedergewählt wird. Würde also Raëto Raffainer wieder zur Wahl antreten – was er eigentlich wollte – hätte er beste Chancen.
Aber nun hat es hockeypolitisch gehörig gerockt. ZSC-Manager Peter Zahner hat kürzlich sein Interesse für das hohe Amt angemeldet. Und nun hat der Verbands-Verwaltungsrat einstimmig (!) beschlossen, einen aus den eigenen Reihen zu nominieren: Nicht Raëto Raffainer wird im Herbst 2026 zur Wahl ins IIHF-Council vorgeschlagen. Sondern Peter Zahner, Mitglied dieses Verwaltungsrates, der einstimmig (!) entschieden hat, ihn ins Rennen zu schicken.
Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt: Der Verbands-Verwaltungsrat ist zurzeit – etwas boshaft formuliert – führungslos: Präsident Stefan Schärer ist im Dezember in einer theaterreifen Intrige abgesägt worden und bis zur Wahl seines Nachfolgers (Kandidat Urs Kessler) verwaltet Marc-Anthony Anner den Verband. Von Führung zu reden, wäre eine freundliche Übertreibung.
Aktuell ist Peter Zahner mit Abstand die durchsetzungsstärkste Persönlichkeit im obersten Gremium unseres Verbandes. Für die Sitzung, bei der seine Nomination und die Nicht-Nomination von Raëto Raffainer beschlossen wurde, hat er sich absolut korrekt verhalten und ist in den Ausstand getreten.
Mit der Nomination von Peter Zahner ist die Hockey-Funktionärskarriere von Raëto Raffainer vom eigenen Verband jäh beendet worden. Dass ein Landesverband einen aussichtsreichen Kandidaten für eine Wiederwahl ins Council intern absägt und einen anderen ins Rennen schickt, ist ein äusserst seltenes Manöver, das nun bis hinauf nach Finnland und Schweden zu reden gibt. Es ist ein hochheikles politisches Manöver, das dazu führen kann, dass die Schweiz ab 2026 erstmals seit 40 Jahren nicht mehr im wichtigsten Gremium des Welteishockeys vertreten sein wird.
Wie stehen die Chancen für Peter Zahner? Die Kompetenz und Integrität des langjährigen Verbands-Sportdirektors, seit 2007 Manager der ZSC Lions, ist völlig unbestritten und steht nicht zur Debatte. Unter seiner Federführung ist in Zürich die modernste Hockey-Arena Europas gebaut worden und er hat die ZSC Lions zur Nummer 1 im europäischen Klubhockey gemacht. Zudem hatte er eine Führungsposition (Verwaltungsratspräsident) der Champions League inne. Er gilt als eine der stärksten und charismatischsten Persönlichkeiten unseres Hockeys. Aber genau das könnte ihm auch zum Verhängnis werden.
Er ist 64 und damit 21 Jahre älter als Raëto Raffainer. Und mit seiner starken Persönlichkeit provoziert er auch Widerstände – nur kommen seine Kritiker nicht aus der Deckung heraus. Niemand wagt Widerspruch, offene Kritik oder gar einen Machtkampf mit dem wohl mächtigsten Mann unseres Hockeys. Er ist gut vernetzt – aber in erster Linie bei den europäischen Verbänden, die 2026 ihre eigenen Kandidaten im Council sehen wollen. Ein Schweizer wird nur – wie Raëto Raffainer – mit den Stimmen der vielen kleinen und sportlich eher unbedeutenden Landesverbände ins Council gewählt.
Das wichtigste Argument, das bei der entscheidenden Verwaltungsratssitzung für Peter Zahner und gegen Raëto Raffainer vorgebracht worden ist, erweist sich bei genauerer Prüfung als wenig überzeugend: Wahlchancen habe nur ein Kandidat, der auch bei einem nationalen Verband ein offizielles Amt bekleide. Was bei Peter Zahner als Verbands-Verwaltungsrat der Fall ist. Bei Raëto Raffainer hingegen nicht.
Weder schreiben die IIHF-Statuten vor, dass ein Council-Kandidat bei einem Landesverband ein Amt haben muss, noch hatten alle, die jetzt im Council sitzen, bei ihrer Wahl irgendwo eine Funktion bei einem Verband. Auch die Begründung, warum man Raëto Raffainer schon jetzt abgesägt und Peter Zahner so früh – voreilig? – auf den Schild gehoben hat, klingt ebenfalls nicht restlos glaubwürdig: Man müsse eben schon bei der WM im Mai mit dem Wahlkampf beginnen. Je früher, desto besser.
Das kann ja heiter werden: Raëto Raffainer bleibt bis zur Wahl im Herbst 2026 im Amt. Alle wissen nun, dass er von seinen eigenen Landsleuten verraten worden ist. Er geht beim IIHF-Hauptsitz in Zürich, bei zahlreichen Hockey-Fachkongressen, bei den WM-Turnieren der verschiedenen Stufen in aller Herren-Hockey-Länder ein und aus. Er ist sprachgewandt und hat das Ohr aller internationalen Hockey-Politikerinnen und Politiker und ist über seine Absetzung und vor allem die Art und Weise offenbar zutiefst verärgert. Jene, die ihn gut kennen, sagen: Schon fast verbittert.
Frage: Wird er in den nächsten 17 Monaten ein guter Wahlhelfer für Peter Zahner sein? Seine Beteuerung gegenüber Gewährsleuten, er wolle auf keinen Fall ein schlechter Verlierer sein, ist nicht ganz frei von Heuchelei. Diese hochbrisante Ausgangslage hätte einst selbst das Herz von Niccolò Machiavelli, Diplomat, Chronist, Schriftsteller, Dichter sowie Gross- und Hexenmeister der politischen Intrige höher schlagen lassen.
Im Zusammenhang mit diesem hochheiklen politischen Manöver ist kürzlich das Wort «Hybris» gefallen. Die Hybris bezeichnet eine ausgeprägte Form der Selbstüberschätzung. Man verbindet Hybris häufig mit Personen in Machtpositionen.
Diese Bezeichnung ist wohl auf Peter Zahner gemünzt. Er hat sie wahrlich nicht verdient. Aber einer der erfolgreichsten Macher unseres Hockeys unterschätzt ein wenig die Tücken und Hinterlistigkeiten der internationalen Hockey-Politik. Kurz vor seiner Pensionierung (voraussichtlich 2027) bewirbt er sich auf dem höchst rutschigen internationalen Parkett um ein prestigeträchtiges hohes Amt.
Nicht mehr allein Kompetenz, Fleiss, Verlässlichkeit und Durchsetzungsvermögen führen – wie bei all seinen Management-Funktionen – zum Ziel. Hilfreich und manchmal sogar unverlässlich sind eine gehörige Portion Schlauheit, eine feine Antenne für Feinde, die Kunst, das Gegenteil von dem zu sagen, was man denkt und ein «Machtkampf-Wolf» im Schafspelz der freundlichen Bescheidenheit zu sein. Und natürlich der schlitzohrige Charme für internationale Beziehungspflege.
Peter Zahner, der als Hockey-Manager alles erreicht hat, steht vor seiner grössten Herausforderung. Sie kann ihm ein hohes internationales Amt einbringen, das er wahrlich als Krönung seiner grandiosen Karriere verdient hätte.
Aber spektakuläres Scheitern ist auch möglich. Verbunden mit einem unabsehbaren, fatalen politischen Bedeutungsverlust unseres Hockeys auf internationaler Ebene.